HR im Zeitalter der KI: Drei Herausforderungen für den Einsatz im Recruiting

Nerses Chopurian

Künstliche Intelligenz verändert das Recruiting. Ihr Einsatz kann die Reputation und Employer Brand eines Unternehmens beeinflussen, oft in unvorhergesehener Weise. Als Teil unserer Zusammenarbeit mit Compass Ethics zu Themen im Grenzbereich zwischen Ethik und Kommunikation erklären wir in diesem Beitrag, worauf Du achten solltest, wenn Du planst, KI in Deinen Rekrutierungsprozessen einzusetzen.

Künstliche Intelligenz (KI) verändert das Personalwesen, allen voran das Recruiting neuer Mitarbeitender. Zwar bieten professionelle Softwarefirmen schon länger kommerzielle Tools, die die Suche, das Screening und die Beurteilung potenzieller Bewerber erleichtern oder automatisierte Vorstellungsgespräche ermöglichen. Die aktuell gesteigerte Aufmerksamkeit für KI verleiht dem Thema jedoch noch einmal einen besonderen Schub.  

Der Einsatz von KI im Recruiting ist nicht ohne Risiken. Er kann die Reputation und Employer Brand eines Unternehmens erheblich beeinflussen. Und auch der EU AI Act nennt Recruiting als besonders risikoreiche Tätigkeit, in der Arbeitgeber besondere Vorsichtmaßnahmen treffen müssen, wenn sie KI einsetzen möchten. 

In diesem Artikel erklären wir Dir: 

  • Die wichtigsten Business Cases für den Einsatz von KI im Recruiting 

  • Die drei größten Herausforderungen beim Einsatz von KI im Recruiting 

  • Unsere Schlussfolgerungen und Vorschläge, wie Du KI im Recruiting einsetzen solltest (und wie nicht). 

Der Business Case für KI im Recruiting

Die Business Cases für den Einsatz von KI im Recruiting sind die gleichen wie in anderen Bereichen: KI soll dabei helfen, klassische manuelle Aufgaben zu automatisieren und zu beschleunigen. So spart ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden Zeit, minimiert die eigenen Kosten und erhöht langfristig seinen Gewinn. Weil eine KI z. B. in der Lage ist, eine hohe Anzahl Bewerbungsunterlagen in kurzer Zeit zu bearbeiten, erlaubt ihr Einsatz es Unternehmen außerdem, Bewerber*innen mit seltenen und wertvollen Eigenschaften ausfindig zu machen. Und auch Bewerber*innen selbst sparen bei einer automatisierten Personalauswahl wertvolle Zeit. So benötigen etwa automatisierte Vorstellungsgespräche mit einer KI keine vorherige Terminvereinbarung, da Bewerber*innen diese immer zu genau der für sie passenden Zeit führen können. Darüber hinaus erhoffen sich Unternehmen vom Einsatz künstlicher Intelligenz eine Reihe zusätzlicher Vorteile, die Bewerber*innen zugutekommen sollen. So kann KI dazu beitragen, problematische Effekte in der Personalauswahl zu minimieren. Das können systematische Benachteiligungen von Mitgliedern marginalisierter Gruppen sein, aber auch ganz banale Fehler, wie etwa Fehlentscheidungen auf Basis situativer Faktoren, etwa wenn Hiring Manager aufgrund eines akuten Hungergefühls oder Unwohlseins geeignete Kandidat*innen nicht als solche erkennen. Das derartige Faktoren Einstellungsentscheidungen in der Praxis immer wieder beeinflussen, ist für Unternehmen weiterhin ein wesentliches ethisches, aber auch strategisches Problem. Es bestätigt die Stimmen in Unternehmen, die dafür plädieren, KI innerhalb des Recruitings einzusetzen, um es effizienter und fairer zu gestalten. 

KI im Recruiting: Die Herausforderungen

Erste Erfahrungen deuten jedoch auch darauf hin, dass KI im Recruiting für Unternehmen mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen verbunden sein kann. Einige werfen ethische Fragen auf, andere betreffen eher die angestrebte Employer Brand.  

Setzt Du für Dein Unternehmen dennoch darauf, KI gewinnbringend in das Recruiting zu integrieren, solltest Du die folgenden Herausforderungen bedenken. 

Herausforderung #1 – KI und die Automatisierung von Vorurteilen

Eine Herausforderung besteht darin, KI für den Einsatz im eigenen Recruiting- Prozess angemessen zu trainieren. Nicht immer sorgt der Wechsel von einem menschlichen auf einen maschinellen Entscheider automatisch dafür, dass problematische Praktiken von jetzt auf gleich aus dem Auswahlprozess verschwinden. Im schlimmsten Fall verhindert KI Diskriminierung in der Personalauswahl nicht – sondern automatisiert sie nur. 

Um zu verstehen, wie das sein kann – wie KI z. B. bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen Vorurteilen und Stereotypen Vorschub leisten kann – muss man begreifen, wie Algorithmen lernen: Damit eine KI in der Lage ist, vielversprechende von weniger geeigneten Kandidat*innen zu unterscheiden, wird sie zunächst mit einer großen Menge vergangener Bewerbungen trainiert. Welche Entscheidungen eine KI später treffen wird, hängt wesentlich davon ab, wie gut (oder schlecht) wir – als Menschen – zuvor diese Datenbasis zusammengestellt haben. Bieten die Daten der KI ein verzerrtes Bild, richtet sie auch ihre künftigen Entscheidungen an diesem aus. Im Recruiting wird dieser Umstand zum Problem, wenn ein Datensatz etwa Benachteiligungen widerspiegelt, die viele marginalisierte Gruppen auf dem realen Arbeitsmarkt erfahren. Gruppiert beispielsweise eine Stichprobe vor allem männliche, weiße Bewerber aus der Mittel- und Oberschicht als „vielversprechend“ (weil genau solche Bewerber aufgrund systemischer Diskriminierungen statistisch gesehen häufig beruflich erfolgreicher sind als Frauen und nicht-weiße Bewerber), lernt eine KI genau das: Sie beginnt, Merkmale wie Geschlecht oder kulturellen Hintergrund selbst als vorteilhaft einzustufen. In einem solchen Fall löst die Technologie das gegebene Problem nicht, sondern verstetigt es. 

Ein prominentes Beispiel für dieses Phänomen ist der Skandal um den Einstellungsalgorithmus bei Amazon. So musste 2015 der beliebte Online-Marktplatz sein intern entwickeltes KI-HR-Tool ausrangieren, als dieses sich als frauenfeindlich herausstellte. Die Ursache: Die Entwickler*innen hatten das Modell mithilfe früherer Einstellungsdaten von Amazon trainiert, aus einer Zeit, in der Spitzenpositionen noch überproportional mit Männern besetzt waren. Die Folge: Die KI lernte, Lebensläufe negativ zu bewerten, die das Wort „Frauen“ und andere weiblich konnotierte Merkmale enthielten, wie den Besuch einer Universität für Frauen oder die Leitung eines Frauensportteams. Darüber hinaus bevorzugte der Algorithmus Lebensläufe mit einem eher „maskulinen“ Sprachduktus, etwa in Form aggressiver Verben (im Englischen etwa „executed“ oder „captured“). 

Herausforderung #2 – Von Kommunikation zu Hacking

Zusätzlich kann der Einsatz von KI zur Bewertung von Bewerbungsunterlagen den Bewerbungsprozess aus Sicht von Bewerber*innen fundamental verändern: Künstliche Intelligenz macht aus einer Interaktion von Mensch zu Mensch eine zwischen Mensch und Maschine. Das hat Folgen – und schafft Anreize, das System überlisten zu wollen. 

Sind Kandidatinnen sich sicher, dass ihre Bewerbung von einem Menschen geprüft wird, konzentrieren sie sich beim Erstellen ihrer Unterlagen darauf, mit diesen zu kommunizieren, d. h. etwas über sich mitzuteilen. Entsprechend richten sie ihre Bewerbung darauf aus, zu überzeugen. Dazu heben sie ihre persönlichen Qualitäten hervor und belegen diese, von spezifischen fachlichen Fähigkeiten wie Programmierkenntnissen über erbrachte Leistungen wie besonders erfolgreiche Projekte bis hin zu wünschenswerten Charaktereigenschaften wie Teamgeist und Durchsetzungsvermögen. Selbstverständlich bemühen Bewerberinnen sich auch in diesem Fall, ihr gedachtes Gegenüber für sich einzunehmen, indem sie sich selbst in ein besonders positives Licht rücken. Dennoch bleibt ihre Selbstbeschreibung in gewisser Weise aufrichtig. Denn Bewerberinnen, die einen anderen Menschen überzeugen möchten, neigen dazu, ehrlich mit den Vorzügen zu arbeiten, die sie anzubieten haben. Tricks wie etwa Lügen über den eigenen Studienabschluss bleiben eher eine Ausnahmeerscheinung. Als potenzielle Arbeitnehmerinnen gehen Bewerberinnen davon aus, dass die Person, die ihre Bewerbung prüft, diese in einen sozialen Kontext einordnet. Sie erwarten, dass Recruiting-Verantwortliche nicht nur Merkmale auf einer Checkliste abhaken (wie z. B. den Abschluss an einer renommierten Universität), sondern ihre allgemeine Eignung berücksichtigen. Zuletzt vertrauen sie darauf, dass Recruiterinnen ehrliche Bewerbungen von billigen Anbiederungsversuchen unterscheiden können - und erstere mehr wertschätzen als letztere. 

Ein automatisierter Prozess verwandelt das Screening von Bewerbungen aus Kandidatinnen-Sicht in eine Black Box. Es zwingt sie, zu spekulieren: Wie können sie ihre Unterlagen optimieren, damit diese die vorgeschaltete KI-Hürde überwinden und an die Person weitergeleitet werden, die tatsächlich für die Einstellung zuständig ist? Die mangelnde Kontextsensitivität von Algorithmen zwingt Bewerberinnen, diesen zu misstrauen und ermutigt sie womöglich, unkonventionelle Methoden zu nutzen, um sich durch die automatisierte Phase eines Bewerbungsverfahrens zu „hacken“. Nur so können sie sicherstellen, dass ihre Unterlagen von einem Menschen gesehen werden, der sie andernfalls nicht zur Kenntnis nehmen würde. 

Beispiele finden bereits ihren Weg in die (sozialen) Medien, so etwa der „White Fonting“-Trend von 2023. Bei diesem ermutigten sich Jobsuchende gegenseitig über TikTok, relevante Schlüsselwörter, besser noch den Ausschreibungstext ihrer jeweils angestrebten Stelle selbst in ihren Lebenslauf einzufügen – in weißer Schrift. Die Idee hinter diesem Vorgehen ist so einfach wie problematisch: KI-Bots oder digitale Filter sollen den weißen Text während ihres Screenings mitlesen, die Bewerbung auf diese Weise als besonders passend missinterpretieren und zur Überprüfung durch menschliche HR-Verantwortliche weiterempfehlen. Diese lesen die Unterlagen dann wie eine normale Bewerbung, da der Text in weißer Schrift für sie praktisch unsichtbar ist. Zwar waren Personalverantwortliche schnell zur Hand, um von dieser zweifelhaften Praxis abzuraten. Dennoch zeigt der Trend, dass KI den Charakter von Recruiting-Prozessen verändert und Bewerber*innen dazu veranlasst, neue, potenziell nachteilige Strategien zu übernehmen. 

Herausforderung #3 – KI in Vorstellungsgesprächen: Die Frage der Wertschätzung

Zuletzt besteht die Gefahr, dass Bewerber*innen den einseitigen Einsatz von KI in Assessment-Situationen und Vorstellungsgesprächen als persönlichen Affront verstehen.  

Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels sind es heute zunehmend Unternehmen, die darum konkurrieren, vielversprechende Talente einzustellen und zu halten. Der Arbeitsmarkt ist ein Arbeitnehmerinnenmarkt geworden. Junge Bewerberinnen sind sich ihres eigenen Wertes zunehmend bewusst und legen hohe Maßstäbe an ihren aktuellen und zukünftigen Arbeitsplatz an. Sie können häufig zwischen einer Vielzahl potenzieller Arbeitgeber wählen und sind bereit, den Arbeitsplatz zu wechseln, wenn sie sich unzufrieden, schlecht behandelt oder nicht ausreichend gewürdigt fühlen. Bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz achten Bewerber*innen heute oft auf die Red Flags eines Unternehmens. So stellen sie sicher, ihre Zeit nicht in Firmen zu investieren, die nicht ihren Werten oder Prioritäten entsprechen. 

Das größte No-Go für junge Bewerber*innen ist dabei häufig eine mangelhafte Kommunikation. So geben junge Jobsuchende in Befragungen regelmäßig an, sich von unklarer oder unfairer Kommunikation durch Unternehmen abgestoßen zu fühlen, insbesondere während entscheidender Schritte wie dem Vorstellungsgespräch. Hinzu kommt: Obwohl junge Talente der Arbeit mit KI im Allgemeinen offen gegenüberstehen, sind sie in der Regel deutlich besser über deren potenzielle Mängel informiert. Sie geben sich seltener der Illusion hin, mit einem Chatbot einer denkenden, verstehenden Person gegenüber zu sitzen und nehmen KI als die Maschine wahr, die sie ist. Ebenso durchschauen sie den Effizienzgedanken, der ihrem Einsatz im Recruiting zugrunde liegt. Auch wenn sie die Beweggründe des Unternehmens aus finanzieller Sicht verstehen können, werten sie den Einsatz von KI dabei womöglich als fehlende Bereitschaft, in eine echte Interaktion von Mensch zu Mensch zu investieren. Sie bemerken die Einseitigkeit der Kommunikation und interpretieren sie als Mangel an Interesse und Wertschätzung für sie als potenzielle Mitarbeitende. 

Gleichzeitig nimmt ihnen der Einsatz von KI in Vorstellungsgesprächen die Möglichkeit, einen potenziellen Arbeitgeber selbst abzuklopfen. Dies sorgt dafür, dass Bewerberinnen Unternehmen schnell als Arbeitgeber für sich ausschließen. Auf Reddit reagieren Nutzerinnen auf den zunehmenden Einsatz von Chatbots bei Vorstellungsgesprächen entsprechend mit einer Mischung aus Frustration und sardonischem Humor. Ein Nutzer fasste das Problem wie folgt zusammen:

„[...] Das Gespräch mit einem Personalverantwortlichen funktioniert in beide Richtungen. Qualifizierte Recruiter erkennen, ob Kandidatinnen zur Unternehmenskultur passen, und Bewerberinnen können mehr über die Unternehmenskultur erfahren und herausfinden, ob sie dort arbeiten möchten. Was sagt es über die Kultur eines Unternehmens aus, wenn es sich so wenig um Bewerber*innen und Mitarbeitende kümmert, dass es als ersten Anlaufstelle eine [...] KI einführt? Was für einen ersten Eindruck hinterlässt das? [...]“ 

Andere lassen sich bereits kreative Gegenmaßnahmen einfallen:

„Nach dieser Logik könnte ich als Bewerber*in eine KI einsetzen, um meine Antworten zu geben. Ein Vorstellungsgespräch sollte keine Einbahnstraße sein.“ 

Drei Tipps für KI im Recruiting

Der Einsatz von KI im Recruiting ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sollten Unternehmen nicht prinzipiell darauf verzichten, KI in ihrem Recruiting einzusetzen. Andererseits sollten sie genau abschätzen, wo und wie sie die Technologie verwenden möchten - und wo sie bewusst auf sie verzichten.  

Wir empfehlen Dir, bei Deiner KI-Strategie die folgenden drei Schlussfolgerungen zu berücksichtigen: 

  • Erstens: Prüfe das KI-Tool Deiner Wahl regelmäßig und stelle sicher, dass keine unerwünschten Vorurteile in Deinen Screening-Prozess einfließen. Außerdem solltest Du Deine Bemühungen auch nach außen kommunizieren, um potenziellen Bewerber*innen Sicherheit über Deinen KI-Einsatz zu liefern. 

  • Zweitens: Lege Deinen KI-Einsatz während der Screening-Phase sowie dessen Kriterien frühzeitig offen. So schaffst Du Vertrauen und minimierst unerwünschte Fälle von „Hacking“. 

  • Drittens: Reflektiere, welche Botschaft Du Bewerber*innen sendest, wenn Du in Assessment-Situationen oder Vorstellungsgesprächen auf KI setzt. In diesen Bereichen kann es sich lohnen, auf ihren Einsatz zu verzichten oder KI nur in einem moderierten Format zu nutzen. 

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