Auf dem Weg zum ersten ethischen selbstfahrenden Automobil der Welt – Teil 1
„Tue Gutes und rede darüber“ ist ein Mantra in den Bereichen Corporate Social Responsibility (CSR) und Unternehmensethik. Doch was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis oft herausfordernd. Sicher hast auch Du diese Erfahrung schon gemacht: Vielleicht stehst Du mit deinem Unternehmen gerade vor der Frage, wo ihr mit Eurem Engagement für die Gesellschaft anfangen sollt – und wie ihr öffentlich am besten darüber sprecht. Oder dein Unternehmen tut bereits, was es kann, um Umwelt und Klima zu schonen und engagiert sich sozial, dringt damit bei wichtigen Stakeholdern jedoch nicht durch. Erfolgreiche CSR ist also nicht nur eine Frage guter Praxis, sondern auch gelungener Kommunikation. Wir haben unsere Partner von Compass Ethics gefragt, wie sie Unternehmen bei der Bewältigung ihrer ethischen Herausforderungen helfen, und teilen unsere eigenen Erkenntnisse, wie Du sicherstellen kannst, dass deine Botschaften im Bereich CSR die Wirkung erzielen, die sie verdienen.
Im ersten Part unseres Artikel-Zweiteilers erklärt Dr. Ted Lechterman von Compass Ethics, wie er und seine Kollegen Unternehmen helfen, ihre ethischen Herausforderungen zu meistern. Hier geht es zum zweiten Part.
– Nerses Chopurian, Geschäftsführer bei PIO
Autonomes Fahren – die ethische Grauzone
Als Unternehmensberatung helfen wir bei Compass Ethics Organisationen aller Art dabei, schwierige ethische Herausforderungen zu meistern und starke Prinzipien und Verhaltenskodizes für ihr Handeln zu entwickeln. Viele unserer Kund*innen wenden sich wegen unserer Expertise im Bereich Emerging Technologies an uns – so auch Voyage Velocity, um die es in dieser Case Study gehen soll.
Als das amerikanische Start-up sich 2020 mit globalen Ambitionen erstmals an uns wandte, waren selbstfahrende Autos noch weitgehend unreguliert – feste Normen für den Umgang mit ihnen noch nicht in Sicht. Ungeklärte Fragen trieben die Öffentlichkeit um: Sind autonome Fahrzeuge sicher? Was sind ihre Vorzüge? Wird ihr Einsatz Jobs in der Transportbranche kosten? Werden Unternehmen oder Regierungen sie nutzen, um Daten ihrer Kund*innen und Bürger*innen auszuspähen?
Der Weg zum ersten ethischen autonomen Fahrzeug
Voyage Velocity hatte erkannt, dass es das Vertrauen seiner Stakeholder gewinnen und behalten musste, wenn es in diesem unsicheren Markt überleben und wachsen wollte. Das Unternehmen musste vermitteln, dass autonome Fahrzeuge eine sichere Technologie sind, wenn seine Hersteller*innen ihre Verantwortung ernst nehmen. Es hatte begriffen, dass es das Vertrauen seiner Anspruchsgruppen nicht durch kluge Worte allein gewinnen und halten können würde. Es musste eine Ethikstrategie entwickeln und sich einen Ruf ethischer Integrität aufbauen. Dazu wollte das Unternehmen die ethischen Risiken und Kompromisse im Umgang mit der von ihm entwickelten Technologie verstehen und eine solide Unternehmenspolitik sowie Frameworks für den Umgang mit ihnen entwickeln. Unsere Aufgabe bestand also darin, Voyage Velocity dabei zu unterstützen, das erste ethische autonome Fahrzeug der Welt zu entwickeln.
Schrittweise zur eigenen ethischen Haltung
Die ethischen Themen, die Dich und Dein Unternehmen beschäftigen, sind vermutlich ganz andere. Dennoch erleben wir in unserer Arbeit immer wieder, dass Unternehmen vor ähnlichen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, sich in Sachen CSR und Ethik zu engagieren. Darum möchten wir Dir im Folgenden zeigen, wie wir im Fall von Voyage Velocity vorgegangen sind – und wie auch Du das ethische Engagement Deines Unternehmens strukturiert in Angriff nehmen kannst.
Schritt 1: Ethische Risiken verstehen und priorisieren
Manche Kund*innen wenden sich an uns, weil sie Hilfe bei bestimmten Herausforderungen benötigen. Das können etwa die Erstellung von Due-Diligence-Frameworks für den Vertrieb, Grundlagen zur Förderung von Vielfalt in der Belegschaft oder situative Beratungen zu konkreten Kontroversen sein.
Andere, wie Voyage Velocity, benötigten unsere Hilfe, um ein breites Spektrum ethischer Dilemmata zu durchdringen und zu priorisieren. In der ersten Phase unserer Kooperation war einer unserer ersten Schritte darum: Die Erstellung einer ethischen Landkarte. So konnten wir die drängendsten ethischen Fragestellungen für die wichtigsten Produkte und Dienstleistungen von Voyage Velocity ermitteln.
So sind wir dabei vorgegangen:
Durch Interviews mit leitenden Angestellten von Voyage Velocity lernten wir die Alleinstellungsmerkmale der Produkte und Dienstleistungen kennen, seine Stärken, Schwächen und die Themen, die die Führungskräfte des Unternehmens nachts wach halten.
Als Nächstes führten unsere Expert*innen für Technologieethik eine Szenarioanalyse durch, um ethische Bedenken des Unternehmens in 26 Dimensionen darzustellen, mit einem Schwerpunkt auf ethischen Risiken, Kompromissen und Chancen.
Schließlich entwarfen wir für das Unternehmen ein Modell, um die 26 identifizierten Dimensionen zu priorisieren und auf sieben Schwerpunktthemen einzugrenzen, die im weiteren Verlauf des Projekts angegangen werden sollten.
Schritt 2: Deep-Dives
Nachdem wir die ethischen Herausforderungen des Unternehmens identifiziert und nach ihrer Wichtigkeit sortiert hatten, ging es darum, sie im Einzelnen in der Tiefe zu analysieren. In einer Reihe von Interviews befragten wir für jeden Problembereich die zuständigen Manager*innen und Mitarbeitenden von Voyage Velocity und prüften interne Unterlagen des Unternehmens. So erhielten wir ein detailliertes Verständnis dafür, wie die besonderen Merkmale der Produkte von Voyage Velocity, seine strategischen Ziele, Führungsstrukturen, Prozesse sowie externer Druck die ethischen Risiken, Kompromisse und Chancen beeinflussten. Während dieses Schritts ergänzten wir unser eigenes Fachwissen um die Erkenntnisse anderer Forschender und konsultierten einschlägige Fachliteratur.
Schritt 3: Ethikstrategie finden und vorbereiten
Als Ergebnis unserer Analysen formulierten wir für Voyage Velocity eine Reihe ethischer Leitlinien. Diese erlauben es dem Unternehmen, mit rechtlichen Grauzonen verantwortungsbewusst umzugehen und eine ethische Unternehmensführung aufzubauen – auf der Basis neuester Forschung und solider moralischer Argumente. Außerdem entwickelten wir für das Unternehmen Frameworks, Entscheidungs-Tools und Dashboards, um die Auswirkungen seiner Produkte und Dienstleistungen nachzuverfolgen sowie Fortschritte zu messen. Dabei arbeiteten wir eng mit einer internen Arbeitsgruppe bei Voyage Velocity zusammen, die sich aus leitenden Angestellten aus verschiedenen Funktionsbereichen des Unternehmens zusammensetzte. Die Arbeitsgruppe berichtete direkt an den CEO und den Vorstand.
Ergebnisse und Ausblick
Durch unsere Beratung konnte Voyage Velocity eine geordnete, systematische und rigorose ethische Haltung entwickeln. Das ermöglichte dem Unternehmen:
seine ethischen Risiken, Zielkonflikte und Chancen sowie seine relevanten Stakeholdergruppen zu erkennen und zu priorisieren;
ethische Ängste und Bauchgefühle in fundierte Positionen und Richtlinien für ethisch bedenkliche Bereiche umzuwandeln;
Systeme und Prozesse für den Umgang mit aktuellen und zukünftigen ethischen Dilemmata zu entwickeln;
Grundlagen zu schaffen, um sich als Vordenker in ethisch kontroversen Bereichen zu positionieren.
Dennoch bleiben für Voyage Velocity auch in Zukunft viele Fragen offen – wie für viele unserer Kund*innen nach Abschluss unserer Beratung. Regelmäßig stehen sie ab diesem Punkt vor der Aufgabe, unsere Ratschläge umzusetzen und intern wie extern zu verteidigen. Fehlt ihnen die Rückendeckung ihres Managements, haben Mitarbeitende, die mit der Umsetzung von CSR betraut sind, einen schweren Stand. Sie müssen Überzeugungsarbeit leisten. Ablehnende Haltungen kommen intern meist von vorhersehbaren Quellen, etwa von Teams, die für die Sicherung der Effizienz in der Produktion oder die Generierung von Umsätzen verantwortlich sind und ethische Prinzipien für einen reinen Kostenfaktor halten. Aber auch externe Kritiker*innen, die nicht wissen, dass ein Unternehmen eine Ethikstrategie entwickelt hat oder die CSR und Unternehmensethik generell skeptisch gegenüberzustehen, leisten Widerstand. Hier gerät unsere interne Ethikberatung an ihre Grenzen. Darum haben wir bei Compass Ethics erkannt, dass für Unternehmen, die ethisch handeln wollen, die Zusammenarbeit mit Kommunikationsexpert*innen unerlässlich ist, um ihre Bemühungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation zu bewerben.
*Firmenname geändert